Er war klein geworden,

hockte in seinem Rollstuhl mit gesenktem Kopf. Nahm er die anderen alten Leute überhaupt wahr?

Er blickte mich an, ein Zögern lag in seinen Augen, als meine Nichte und ich ihm gegenüber saßen. "Wer ist das, eine Arbeitskollegin?", nuschelte er vor sich hin.

"Nein, Papa, das ist Sandra."

"Und wo sind die Kinder?" Er hatte es ganz schnell verstanden, das war Sandra, seine Enkelin, und sie hatte zwei Kinder. Er war gar nicht so verwirrt, wie mein Bruder behauptet hatte. Er hatte mich erkannt, und er hatte Sandra auch erkannt, nicht sofort natürlich, denn Sandra war jetzt blond mit kurzen Haaren...

"Die Kinder sind heute nicht mitgekommen, aber beim nächsten Mal bestimmt", sagte Sandra.

Er lächelte unsicher und wandte sich dem Essen zu, das meine Mutter ihm mitgebracht hatte, es war kleingeschnittener Gänsebraten in Soße, er aß zögernd und vorsichtig, mit steifem Arm hielt er die Gabel fest und führte sie zitternd zu seinem Mund. Ab und zu kleckerte er etwas auf seine Hose. Er wischte es ungeschickt mit einem Papiertaschentuch ab. Er trug ein kurzärmeliges Hemd, und ich musste immer auf seine dünnen Arme schauen. Sie wirkten so kraftlos, so faltig und alt...

"Wann kann ich denn nach Hause", fragte er, und seine Stimme klang kleinlaut.

"Ich weiß es nicht", meine Mutter streichelte ihm liebevoll übers Gesicht. "Ich muss erst wieder zu Kräften kommen, dann hole ich dich schon."

Oh Gott, glaubt sie wirklich daran? Sie ist noch so lebenslustig, und das mit einundachtzig. Und mit Brustkrebs, der schon Metastasen gebildet hat. Sie hat ihre Operation ohne weiteres verkraftet. Ich brauche die Brust nicht, hat sie gesagt, ich müsste nur die Fenster putzen, aber im Moment kann ich die Arme nicht so gut hochheben, sie haben mir alle Lymphdrüsen herausgenommen...

Ich schaue Sandra an und sehe, dass sie Tränen in den Augen hat.

"Ich will nicht ins Zimmer!"

Wir schieben ihn in den Aufenthaltsraum, wo eine Frau gerade wild ihre Arme schwenkt und seltsame Laute von sich gibt. Ich küsse ihn zum Abschied. Als ich das Zimmer verlasse, sehe ich ihn in seinem Rollstuhl sitzen, mit gesenktem Kopf. Wie klein er geworden ist, wie er vor sich hinstarrt. Was tut er hier? Er passt doch gar nicht hierhin, zu all den Verrückten. Er ist mein Vater, er ist stark, war immer stark, obwohl der Körper nicht mehr mitmacht. Ich kann ihn doch nicht hierlassen.

Aber ich tue es schließlich doch.
herbstfrau - 8. Jan, 16:30

Fast

keine Worte finde ich.. Weil es mich so bewegt.

dancefloor - 8. Jan, 16:51

das...

...zu erleben gehört auch zum leben.

Blitzi - 8. Jan, 17:52

Mir fehlen die Worte.

Iggy - 8. Jan, 20:36

es ist im moment

alles nicht sehr lustig, aber ich verdränge es, wenn es geht...

punctum - 10. Jan, 00:40

Das ist hart. Ach Mensch... Mein Mitgefühl hast Du auf jeden Fall. Aber so, wie Du es geschrieben hast, so eindringlich, hat es auch viel Liebes, viel Zugeneigtes in sich, trotz der Bitterkeit und des Schmerzes. Alles, alles Gute!!

Iggy - 10. Jan, 15:44

aber trotzdem

kann ich ihnen nicht viel helfen, das ist das bittere. okay, ab und zu mal hinfahren... wir werden sehen, danke dir!
Bergeundmehr - 11. Jan, 12:58

Ich kann es nachvollziehen, mir ging es mit meiner Mutter nicht anders. Ich wollte sie nie in ein Heim tun, aus ihrer gewohnten Umgebung rausreißen. Aber es ging nicht anders. Allein und mit beginnender Demenz in der großen Wohnung. Gott sei Dank ist sie bei mir in der Nähe untergebracht, ich kann oft zu ihr hin, ebenso die anderen Verwandten, und sie hat sich gut eingelebt.
Alles Liebe
Petra :-)

Iggy - 11. Jan, 16:32

ich hab's bei dir gelesen,

und irgendwie ähnelt sich alles, überall ist es das gleiche, eltern werden hilflos, so hilflos, dass man ihnen nicht mehr selber helfen kann - und dann, na ja... ach schitt aber auch.
mach's gut petra!
Bermejo - 11. Jan, 19:39

die wenigsten von uns können ihre alten eltern zu sich nehmen - also kopf hoch!

Iggy - 12. Jan, 16:03

kann ich auch nicht,

obwohl ich jetzt die zeit hätte, aber es würde mich umbringen. ;)
Frau Tupfelmaus - 13. Jan, 11:02

*Tränchen weg wisch*
Nein, das kannst Du auch nicht. Es ist hart ihn so zu sehen, aber sicher ist es besser so. Meine Mutter hat immer gesagt, wenn es bei ihr mal dazu kommen würde, dann sollten wir (meine Schwester und ich) unser Leben weiter leben und uns nicht die Last auf bürgen sie zu Hause zu pflegen. Sie wußte wovon sie sprach, hat sie doch erst ihre Tante und dann ihre Schwiegermutter gepflegt, wir mußten nie die Entscheidung treffen, denn es ist alles ganz anders gekommen.
Darum verstehe ich nur zu gut, das Du das nicht kannst!
Lieber Gruß!
Iggy - 13. Jan, 16:14

ist schon seltsam,

ich hab immer gedacht, ich mag meine eltern nicht besonders, sie haben nie viel für mich getan und alles an liebe und geld meinem kleinen bruder in den hintern gesteckt. trotzdem tun sie mir jetzt so furchtbar leid, aber ich kann nichts für sie tun, es geht einfach nicht.
was bleibt? ?
tschapperl - 17. Jan, 09:51

Das ganze Leben hindurch spielt man eine Rolle nach der anderen. Das beginnt als Embryo, dann mal Stürmer und Dränger, irgendwann Hochzeiter, dann vielleicht Beförderter oder Rausgeschmissener, Kranker uns schließlich ist man die Hauptperson beim eigenen Begräbnis.
Also mir hilft oft der Schwenk auf eine höhere Reflexionsstufe. Ein wenig hilft es gegen den ganzen Jammer, den das Leben uns so bereitet.

Iggy - 17. Jan, 15:45

ich hoffe,

ich bin dann wenigstens die hauptperson beim eigenen begräbnis. aber so ganz ohne kinder ist das bestimmt deprimierend, ach quatsch, auch auf kinder kann man sich nicht verlassen, meine kinder sind meine geschichten, darin werde ich leben.
hoffentlich? ;))
tschapperl - 17. Jan, 22:53

Habe mir so manche Geschichte gemerkt. Du lebst also zumindest solange weiter, bis ich sterbe - geplant so um 2047.
Iggy - 19. Jan, 11:31

sehr schön,

und das dauert ja noch ein weilchen... ;))
Groggymaus - 17. Jan, 18:30

Es tut mir so leid!

Liebe Iggy!
Es ist furchtbar, was Du grade durchmachen mußt und es erinnert mich an meine Oma. Meine Mutter hat sie auch bis kurz vor dem Tode eine Zeit lang gepflegt, aber irgendwann kommt man an einen Punkt, da ist es besser das anderen, unbeteidigten Menschen zu überlassen, sonst macht es einen kaputt. Du kannst nur für sie da sein, ihnen zuhören und sie besuchen. Etwas anderes wäre reine Selbstzerstörung! Ich habe es bei meiner Mutter gesehen. Es war sehr schlimm für sie zuzusehen, wie ihre eigene Mutter immer weniger wurde. Da muß man irgendwie durch, irgendwann haben wir das alle vor uns mit unseren Eltern. Halt die Ohren steif, ich weiß Du schaffst das! Ich denk an Dich. Alles Liebe für Deine Familie und viel Kraft in dieser schweren Zeit wünsche ich Dir. Liebe Grüße Groggymaus :)

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